Hallo Genoßen!
Der Autor liefert selbst die Antwort zum kritischem Band 2 ... "
Was die Nordkoreaner nicht ahnten: Gleichzeitig zu dem offiziell genehmigten Band eins des Architekturführers habe ich einen zweiten Band mit meinen eigenen Fotos mit kritischen Texten herausgeben, um die offiziellen Fotos aus Band eins einzuordnen. Als Verleger wollte ich keine pure Staatspropaganda unkommentiert drucken. Ich möchte, dass der aufgeklärte Leser sich selbst ein Bild von der Stadt und dem Regime machen kann."
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Protzige Museen, triste Monster-Wohnanlagen: Pjöngjang ist ein faszinierendes Museum sozialistischer Bombastbaukunst - aber komplett von der Außenwelt abgeschottet. Im weltweit ersten Archtitekturführer zeigt Philipp Meuser, wie es in der geheimnisvollen Stadt wirklich aussieht.
Mein Abenteuer Nordkorea begann mit einer völlig verrückten Idee. Im Jahr 2005 bin ich aus purer Neugierde nach Pjöngjang gefahren. Als Tourist, nicht als Architekt, ohne jeden Hintergedanken. Ich habe mich bei einer zuständigen Agentur für eine Einzelreise angemeldet und gesagt: Ich möchte mir gerne die Architektur der Stadt anschauen.
Nie hätte ich gedacht, dass es so einfach und unspektakulär sein würde, in einen von der Weltöffentlichkeit derart abgeriegelten Ort wie Pjöngjang zu reisen. Aber vermutlich liegt es daran, dass totalitäre Systeme eben auch eine totalitäre Bürokratie haben. Wenn man sich nur penibel genau an die Gepflogenheiten hält, dann bekommt man auch pünktlich seine Genehmigung.
Schon als ich Anfang der neunziger Jahre an der Technischen Universität Berlin Architektur studiert habe, hat mich die sozialistische Baukunst fasziniert. Ich bin damals immer wieder nach Ost-Berlin gefahren und habe mir stundenlang diese riesigen Stadträume angeschaut. Später bin ich auch mehrmals in die ehemalige Sowjetunion gereist und habe gemerkt: Dort gibt es ein völlig anderes Verständnis von einer Stadt, als wir es in Westeuropa haben.
Open-Air-Museum sozialistischer Baukunst
Vor allem hat mich das Phänomen fasziniert, dass es einmal von der Ostsee bis zum Pazifik eine einheitliche Vorstellung von Architektur gegeben hat. Man konnte mit der Transsibirischen Eisenbahn in die entferntesten sozialistischen Städte fahren und entdeckte doch eine Architektur, die auch irgendwo in Ost-Berlin hätte stehen können. Eine Globalisierung des Städtebaus, Jahrzehnte, bevor man von Globalisierung überhaupt gesprochen hat.
Heute ist die kommunistische Architektur in vielen Städten des ehemaligen Ostblocks jedoch schon längst überbaut oder kaum noch erkennbar. Deshalb wollte ich unbedingt einen Ort besichtigen, an dem die sozialistische Baukunst noch in Reinform existiert. Also auf nach Pjöngjang.
Direkt nach meiner Ankunft bekam ich ein Team von drei Begleitern, die mich keine Sekunde aus den Augen gelassen haben. Jedesmal, wenn ich ein Foto von einer Straßenkreuzung machen wollte, hieß es: "Nein, das geht nicht, das war nicht angemeldet, das steht nicht auf der Liste." Aber wie sollte ich eine detaillierte Besichtigungsliste von einem Ort machen, von dem ich keinen blassen Schimmer hatte? Daraus habe ich gelernt: Man muss erst einmal nach Pjöngjang fliegen, um zu erkennen, was man alles nicht sehen konnte.
Abbild einer utopischen Ideologie
Die Stadt wirkte aufgeräumt. Die Fensterscheiben waren intakt, die Wohnhäuser gestrichen und sahen von weitem sauber aus. Als ich jedoch ein wenig näher herangehen durfte, erkannte ich bald auch Anzeichen der Armut: Dichtungsfugen waren völlig ausgetrocknet, die Fenster nicht isoliert. Nach außen glänzte alles, aber vieles war aus purer Not improvisiert. Die Menschen kehren und putzen alles kaputt - und können es dann nicht mehr reparieren.
Pjöngjang ist das wohl am besten erhaltene Open-Air-Museum sozialistischer Bauweise: standardisierter Massenwohnungsbau, breite Straßenzüge, ambitionierte und monumentale Kulturdenkmäler. Es gibt nirgends bunte Werbeplakate, die einzigen Farbtupfer sind gigantische Propagandabilder. Die Stadt ist ein architektonisches Kuriositätenkabinett, ein in Beton gegossenes Abbild einer utopischen Ideologie.
Von den vielen bombastischen und großflächigen Gesellschaftsbauten hat mich besonders das Stadion des 1. Mai beeindruckt. Mit 150.000 Sitzplätzen ist es das größte Stadion der Welt. Wenn man für einen Moment die politische Propaganda des Regimes ausblendet, ist es schon faszinierend zu sehen, wie bei einer Massengymnastik Zehntausende Menschen völlig synchron farbige Klappbretter hochhalten und damit riesige Bilder und bunte Motive zaubern.
Gigantische Wandmosaiken, hippe Friseursalons
Ähnlich beeindruckend waren die gigantischen Wandmosaiken des Staatsgründers Kim Il Sung, wirklich fotorealistisch. Drei Meter breit und zwölf Meter hoch, zusammengesetzt nur aus fingerkuppengroßen Steinchen! In einem Schwimmbad habe ich ein riesiges Mosaik von einer Wellenbrandung gesehen. Das hätte eine Fototapete nicht brillanter darstellen können. Handwerklich findet man in Pjöngjang also durchaus Leistungen, die man woanders auf der Welt suchen müsste. Natürlich auch, weil sie so viel Personal verlangen, dass sie in der freien Marktwirtschaft nicht zu finanzieren wären.
Manchmal war ich überrascht von dem europäischen Flair der Stadt. Es gibt neoklassizistische Kongresshallen, Theater im griechischen Stil und einen Triumphbogen, der dem von Paris ziemlich ähnelt, aber sechs Meter höher ist. Allerdings ist es so, dass sich Pjöngjang von der Weltarchitektur inspirieren lässt - und nicht umgekehrt.
Als ich einmal im riesigen Hygiene- und Gesundheitspalast war, entdeckte ich dort einen quietschbunt eingerichteten Friseursalon und habe sofort gedacht: In Europa wäre der total hip. Zum Spaß habe ich meine Begleiter gefragt: "Hört mal, kann ich euch das Interieur irgendwie abkaufen?"
Interessant war deren Reaktion. Mit der Frage hatten sie nicht gerechnet, sie haben sie aber ernst genommen und sich kurz beraten. Dann kam die Antwort: "Der Gesundheitspalast ist ein Geschenk des geliebten Führers Kim Il Sung an sein Volk." Es sei daher absolut undenkbar, etwas aus dem Volksbesitz zu verkaufen, und sei es nur ein Bild in einem Friseursalon.
Ein ungewöhnlicher Spaziergang
Vier Tage dauerte mein erster Besuch in Pjöngjang, und nach drei Tagen ging meinen Begleitern das Programm aus. Sie hatten mir offensichtlich alles gezeigt, was ich sehen durfte. Deshalb wollten sie mit mir am letzten Tag in die Berge fahren, ich bestand aber darauf, in der Stadt zu bleiben. Nach langen Diskussionen akzeptierten meine Aufpasser schließlich einen Vorschlag, der ihnen zutiefst suspekt war: einen Spaziergang durch die Stadt.
Das war ungewöhnlich und meinem Status als Ausländer eigentlich nicht angemessen. Normalerweise wird man in einer schwarzen Limousine von einem Denkmal zum anderen kutschiert. Keine Chance, mit der Tram zu fahren. Der ganze Alltag wird völlig ausgeblendet. Ich war in Pjöngjang, aber bewegte mich in einer Parallelwelt.
Und jetzt durfte ich plötzlich durch Wohngebiete laufen, dicht an den Eingängen vorbeigehen und konnte sogar manchmal in die Häuser gucken. Es waren die gleichen Bilder, die ich aus Russland und Zentralasien kannte: alles ein bisschen heruntergekommen und im Verfall begriffen. Riesige Wohnmaschinen, im Prinzip eine unmenschliche Architektur. Die totale Ausblendung des Individuums. Leben möchte ich hier nicht.
Stadtführer über einen verbotenen Ort
Nach meinem ersten Besuch wollte ich mich intensiver mit Pjöngjang beschäftigen und kam auf die Idee, einen Architekturführer über die Stadt zu veröffentlichen. Die Motivation dazu war mein wissenschaftliches Interesse für einen Ort, der sich der üblichen Berichterstattung weitgehend entzieht.
So exotisch es klingt, einen Architekturführer Pjöngjang zu machen, so exotisch war das Projekt für die Nordkoreaner. Auch für sie war das völliges Neuland.
Noch viermal bin ich wegen des Reiseführers nach Pjöngjang geflogen. Die Verhandlungen für das Buch waren kompliziert und zogen sich insgesamt über zwei Jahre hin. Die Kommunikation lief per E-Mail und war total bürokratisiert. Es war eine seltsame Zusammenarbeit. Wenn ich einen Vorschlag machte, wurde er nie kommentiert, kritisiert oder hinterfragt, sondern es gab immer nur zwei Antworten: Ja, das funktioniert. Oder: Nein, das geht nicht. Ohne Begründung, ohne Gegenvorschlag.
Zäher Kampf um jedes Wort
Die Koreaner haben sich so umständlich mit allem angestellt, dass ich versucht habe, mit Band eins des Architekturführers eine Publikation des geringsten Widerstands herauszugeben. Wir haben also fast im vorauseilenden Gehorsam ein Buch erstellt, das möglichst wenig kantig war.
Trotz dieser Strategie kam es zu etlichen Schwierigkeiten, mit denen ich nicht gerechnet hatte. Etwa als ich von "Kim Il Sungs Rückkehr aus dem sowjetischen Exil" schrieb. Prompt kamen mahnende Worte aus Nordkorea, dass ich bitte nicht von dem "Exil", sondern der "triumphalen Rückkehr des großen Führers, Genosse Kim Il Sung" schreiben sollte. Wir einigten uns dann auf "Rückkehr", ohne den Zusatz "triumphal". Den skurrilen Wunsch, Kim Il Sung und Kim Jong Il im Text immer in Versalien und um 0,5 Punkt größer zu schreiben, habe ich abgelehnt.
Was die Nordkoreaner nicht ahnten: Gleichzeitig zu dem offiziell genehmigten Band eins des Architekturführers habe ich einen zweiten Band mit meinen eigenen Fotos mit kritischen Texten herausgeben, um die offiziellen Fotos aus Band eins einzuordnen. Als Verleger wollte ich keine pure Staatspropaganda unkommentiert drucken. Ich möchte, dass der aufgeklärte Leser sich selbst ein Bild von der Stadt und dem Regime machen kann.
Ich weiß nicht, ob sie in Pjöngjang von dem zweiten Band wissen. Wenn sie mich direkt gefragt hätten, hätte ich es nicht geleugnet.