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Die Krise in der Ukraine befördert Präsident Putins Drang nach Osten auf der Suche nach Partnern. Zu ihnen gehört auch das isolierte Nordkorea. Für Pjongjang ist die Annäherung eine glückliche Fügung, für die internationale Sicherheit ein Risiko.
(ap) / ws. Bereits seit einigen Jahren wendet sich Russland immer mehr vom Westen ab. Mit der Ukraine-Krise beschleunigt sich diese Umorientierung. Auf der Suche nach Verbündeten umgarnt der Kremlchef Wladimir Putin nicht nur China, sondern auch Nordkorea und seinen Diktator Kim Jong Un.
Putins Offerten an die kommunistische Führung zur Stärkung des Handels und der wirtschaftlichen Beziehungen sind eine demonstrative Distanzierung von der Europäischen Union und den USA, die in der Ukraine-Krise Sanktionen gegen Russland verhängt haben. Letztlich dürfte der Konflikt aber nur ein Umdenken beschleunigt haben, dass schon vor einigen Jahren eingesetzt hat.
Schwenk nach Osten
Von «Putins Schwenk» nach Osten ist bereits die Rede. Langfristig streben nicht nur die USA in den Pazifikraum, auch Russland sucht neue Märkte für Rohstoffe und Energieressourcen in Asien. Putin betreibt die Entwicklung Sibiriens und des russischen Fernen Ostens, er leitete eine Annäherung an China ein und sucht weitere Partner in der Region.
Den Kontakt zu Nordkorea frischte Russland bereits im Juli 2013 auf. Damals war es noch eine verhaltene Geste, als ein relativ unbedeutender Vertreter zur 60-Jahrfeier des Endes der Kämpfe im Koreakrieg reiste. In den folgenden Monaten sollten die Begegnungen und Gesten an Gewicht gewinnen. Kim Jong Un hofierte Putin bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi. Im März schickte der Kremlchef seinen Minister für die Entwicklung des Fernen Ostens nach Pjongjang, gefolgt vom stellvertretenden Regierungschef Juri Trutnew im April, der drei Tage blieb.
Sanktionen schweissen zusammen
Trutnews Besuch sei der «Höhepunkt einer neuen Phase in den Beziehungen zwischen Russland und Nordkorea» gewesen, proklamierte Alexander Woronzow von der Russischen Akademie der Wissenschaften kürzlich im Internet-Blog «38 North». Die Tatsache, dass Moskau und Pjongjang nun mit US-Sanktionen belegt seien, bringe sie zusammen, schreibt er.
Auch im russischen Staatsfernsehen wird Nordkorea mittlerweile als vorbildliches Land dargestellt, das vom Westen zu unrecht dämonisiert wird. «Wir müssen dieses Land und seine Denkweise verstehen», erklärte der linksnationalistische Publizist Alexander Prochanow kürzlich auf dem Sender Rossija24. «Dieses kleine Volk hat zwei grossartige Siege erstritten. Über die Japaner und die USA, die es vernichten wollten.»
Kredite und Schuldenerlass
Das Ergebnis dieser neuen Bewunderung für Nordkorea: Stärkung des Handels und Rubel-finanzierte Entwicklungsprojekte. Die Staatsduma, das russische Parlament, erliess Nordkorea zehn Milliarden Dollar Schulden aus der Zeit der Sowjetunion. Eine Milliarde soll reinvestiert werden – Nordkorea hält Anteile in diesem Wert an einer geplanten Trasse der Transsibirischen Eisenbahn über Nordkorea nach Südkorea. Das Projekt, zu dem auch eine Pipeline gehört, steckt noch in der Anfangsphase und würde es Russland ermöglichen, Gas und Strom nach Südkorea zu exportieren. Alle drei Länder könnten dabei viel gewinnen.
Letztlich dürfte es Putin darum gehen, in der Krise Stärke und Unabhängigkeit von den internationalen Machtverhältnissen zu beweisen. Für Putin sei es einer der wichtigsten Faktoren, Washington zu zeigen, dass die Sanktionen keine Wirkung hätten. Daher umwerbe er nun Nordkorea, erklärt der japanische Experte Narushige Michishita vom National Graduate Institute for Policy Studies in Tokio. Wie zufällig unterzeichneten Russland und Nordkorea ein Handelsabkommen am selben Tag, als die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Annexion der Krim verurteilte.
Glücksfall für Nordkorea
Für Nordkorea könnte der Zeitpunkt kaum besser sein. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ist die nordkoreanische Wirtschaft im Niedergang begriffen. Ohne Handel und Hilfe der Chinesen sähe es düster aus. Schwere Sanktionen wegen des Atomprogramms haben die Lage zudem verschärft.
Bessere Beziehungen zu Russland dürften daher wirtschaftlich positive Folgen für das inzwischen weitgehend von China abhängige Land haben. Nordkoreas Machtposition in seinem Beharren auf eine atomare Bewaffnung würde überdies durch eine Freundschaft mit Russland gestärkt.
Atomare Abrüstung gefährdet
Der russische Korea-Experte Woronzow deutet an, dass Russland seine Haltung zu den Bemühungen der USA um eine nukleare Abrüstung Nordkoreas ändern könnte. In Bezug auf den iranischen Atomstreit hatte Russland im Zuge der Ukraine-Krise ähnlich gedroht. Viele Experten sorgen sich, dass Putin dieses Druckmittel nutzen könnte, um seine Interessen in der Weltpolitik durchzusetzen.
Ähnlich wie im Fall des iranischen Atomprogramms verhandelt eine Gruppe aus fünf Staaten mit Nordkorea über sein Atomprogramm: USA, China, Russland, Japan und Südkorea. Doch die sogenannten Sechs-Parteien-Gespräche sind seit Jahren fruchtlos. Zwar könne es sein, dass nun auch Schwung in die Verhandlungen komme, aber Nordkorea werde auf keinen Fall abrüsten, vermutet Michishita. Stattdessen werde Nordkorea Russlands Unterstützung nutzen, um seine Position gegenüber den USA und Japan zu stärken - und gegenüber China.